5 Thesen zur Einführung von digitalen Prozessen

Die systematische Erfassung von Kundenbedürfnissen – Ein Praxisbericht

Die verfügbaren Technologien ermöglichen heute viele Arten von Digitalisierung. Die größten Herausforderungen bei der digitalen Transformation sind jedoch nicht die neuen Technologien selbst, sondern der kulturelle Wandel, der notwendig ist, um aus ihnen Wertschöpfung zu erzielen. Konsequentes Change-Management sowie die erforderlichen zwischenmenschlichen Kompetenzen „Soft Skills“ aus der analogen Welt leisten hier den entscheiden Beitrag und sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungsprojekten.

Konkret geht es in diesem Praxisbericht um einen „neuen“ digitalen Prozess für die Vertriebsmannschaft eines KMUs im Kundenkontakt.

Im beschriebenen Unternehmen ist durch den mehrstufigen Vertriebsweg der systematische Kontakt zum Endkunden und damit die wichtige Kundenperspektive verloren gegangen, da man sich seit vielen Jahren auf die Händler konzentrierte.

Erfolgreiche Innovationen erfordern jedoch ein grundlegendes Verständnis der Endkunden, deren Prozesse, Herausforderungen und Erwartungen. Folgerichtig wurde für den Außendienst ein neues Ziel definiert: 40% der Kundenkontakte sollen mit Endkunden statt finden. Für diese „neue“ Tätigkeit wurde zunächst ein entsprechendes und grundsätzliches Vertriebstraining mit einer externen Trainingsorganisation aufgesetzt und durchgeführt.

#1 Zusammenarbeit fördern

Doch wie kommen nun diese wertvollen Informationen „Customer Insights“ zu dem relevanten Personenkreis wie z.B. Produktmanagement und Entwicklung? Besuchsberichte in den Untiefen eines CRM-Systems sind dafür kein probates Mittel, wie viele Beispiele aus der Industrie zeigen. Um das zu vermeiden, wurde die Kundeninteraktion der Außendienstmitarbeiter neu definiert, das CRM-System entsprechend überarbeitet und die nachfolgenden Prozesse im Innovationsmanagement angepasst. Mit der Zielsetzung, die Customer Insights fortlaufend in Echtzeit digital den Fachabteilungen zur Verfügung zu stellen.

#2 Nutzen aufzeigen

Die neue Aufgabe der Außendienstmitarbeiter besteht nun darin, neben klassischen Produktpräsentationen beim Endkundenbesuch auch ein gründliches Verständnis des Kunden und seiner Bedürfnisse zu entwickeln. Letztlich ist die Frage zu klären, wofür der Kunde wirklich bereit ist zu zahlen. Die Grundlage hierbei bildet eine Kombination von Ansätzen aus Job-To-Be-Done, Design Thinking und dem Value-Proposition-Design, um kundenzentrierte Produkte und Services zu entwickeln.

„Wir wollen anwendungsorientierte Produkte entwickeln, dazu müssen wir verstehen, was für den Kunden wirklich nützlich ist.“

Für die Umsetzung eines solchen Projektes gilt es zunächst, die beteiligten Menschen zu inspirieren und mitzunehmen. Es beginnt damit, klare Antworten zu geben – warum man tut, was man tut. Die Zielsetzung  und Vision wurde in den speziellen CRM-Schulungen kommuniziert sowie durch einen Leitfaden ergänzt. Dies klingt zunächst logisch und trivial. Wenn jedoch Mitarbeiter es über Jahrzehnte gewohnt sind, hauptsächlich Produkte und Aktionen einer Händlerorganisation zu präsentieren, ist das neue Vorgehen ein deutlicher Paradigmenwechsel. Und bringt die Frage mit sich, wie man das am besten anstellt. Wie wir etwas tun, findet seinen Ausdruck in Prozessen des Unternehmens, aber auch besonders in seiner Kultur und dem Mindset der Belegschaft. Dies bedeutet in unserem Praxisbeispiel, entsprechende Grundregeln für Kundeninterviews zu definieren und zu schulen:

  • Nehmen Sie eine Anfängerperspektive ein.
  • Mehr zuhören als reden.
  • Mit „warum, wozu, weshalb?“ fragen, um die wahren Motivationen zu enthüllen.

Beim Kundeninterview geht es ums Lernen, und das Verstehen, wofür der Kunden bereit ist zu bezahlen!

#3 Ängste akzeptieren

Jede Veränderung im Unternehmen wird Angst und Stress erzeugen. Um die Ängste abzubauen, wurden mehrere Mitarbeiter „Pioniere“ als Treiber der Veränderung gefunden und zunächst ein Pilotprojekt durchgeführt. An diesem Pilotprojekt hat ein Team Freiwilliger in zwei kulturell sehr unterschiedlichen Ländern mit einer Beta-Version des neuen CRM-Moduls teilgenommen um die Funktionalität vor Ort im Kundenkontakt getestet. Dieses neue Modul „Anwendungsanalyse“ ermöglicht es dem Außendienstmitarbeiter, systematisch die Kundenbedürfnisse zu hinterfragen und so anderen Bereichen (PM, F&E) systematisch und strukturiert zur Verfügung zu stellen. Ohne das Commitment und Engagement der „Pioniere“ wäre diese digitale Transformation wahrscheinlich deutlich langsamer verlaufen.

#4 Gemeinsam gestalten

Die wertvollen Praxiserfahrungen der Testphase sind anschließend in die Überarbeitung und den weltweiten Rollout des selbstgebauten CRM-Moduls eingeflossen. Die Teilnehmer der Testphase wurden nun für die restliche Vertriebsmannschaft zu Key-Usern und Botschaftern des neuen Prozesses „Was will der Kunde wirklich?“ Innerhalb des Rollouts wurde eine zusätzliche Feedbackschleife in Form einer Online-Umfrage unter den Mitarbeitern eingebaut. Bestandteil dieser Umfrage waren unter anderem die Frage nach der Akzeptanz des neuen Prozesses beim Endkunden (systematische Hinterfragung der Aufgaben des Kunden), UX der Software, mögliches Optimierungspotenzial und inwieweit der neue Prozess die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens steigert. Sehr positiv war insbesondere, dass die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens mehrheitlich hoch eingeschätzt worden ist. Im weiteren Verlauf des Projekts wurden entsprechend auch die Innovationsprozesse im Produktmanagement- und Entwicklungsbereich auf diese neue Informationsquelle hin angepasst und optimiert. Aus den ersten 700 Kundenbefragungen sind sehr interessante „Customer Insights“ hervorgegangen, welche anschließend bewertet und weiterverfolgt wurden.

#5 Externe Unterstützung

Das beschriebene Praxisbeispiel wurde im Rahmen einer Reorganisation des Produktmanagementbereiches eines mittelständischen Unternehmens durch einen Interim Manager injiziert und implementiert. Die langjährige Erfahrung in strategischen und operativen Führungspositionen im Vertrieb- und Produktman­agement sowie State-of-the-Art Methoden ermöglichten diesen gesamt unternehmerischen Blick und Lösungsan­satz.

Digitale Transformation und Kul­turwandel sind Veränderungsprozesse, welche häufig Unternehmen nicht mit den eigenen Ressourcen stemmen können, sie sind auf externes Know-how angewiesen. Um ein Unternehmen wirklich nachhaltig unterstützen zu können, ist vor allem ein tiefgreifendes Verständnis für beide Welten, an­alog und digital, notwendig.